Der Antrag kann ohne Einhaltung einer Frist widerrufen werden. Dies gilt aber nur so lange, wie der entsprechende Steuerbescheid nicht formell und materiell bestandskräftig ist. Dabei reicht es aus, dass der Steuerbescheid partiell „offen“ ist, bspw. weil er aufgrund einer Berichtigungsvorschrift geändert wurde.
In dem vom BFH mit Urteil vom 20.04.2023, Az. III R 25/22, entschiedenen Fall war diesbezüglich streitig, ob ein solcher Antrag im Rahmen eines Einspruchs gegen einen Änderungsbescheid zurückgenommen werden kann. Denn der Veräußerungsgewinn hatte sich aufgrund einer Außenprüfung verringert und der Steuerpflichtige wollte den Antrag daher in einem anderen Veranlagungszeitraum steuergünstiger erneut ausüben.
Der BFH bestätigte die Auffassung von Finanzamt und Finanzgericht (FG Köln, Urteil vom 09.03.2022, Az 15 K 1055/20) und lehnte den Antrag auf Rücknahme der ermäßigten Besteuerung ab. Die Änderung des Wahlrechts auf Inanspruchnahme der ermäßigten Besteuerung eines Veräußerungsgewinns nach § 34 Abs. 3 EStG im Falle einer partiellen Durchbrechung der Bestandskraft (im Streitfall nach § 175 Abs. 1 AO wegen Grundlagen- und Folgebescheiden) kommt nur in Betracht, wenn die damit verbundenen steuerlichen Folgen nicht über den durch § 351 Abs. 1 AO und § 177 AO gesetzten Rahmen hinausgehen.
Nach § 351 Abs. 1 AO können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht. Darüber hinaus bleibt die eingetretene Bestandskraft des angegriffenen Bescheides bestehen. Das bedeutet, dass die Änderung der Antrags- oder Wahlrechtsausübung nur möglich ist, wenn die dadurch zu erzielende Steueränderung den durch die – partielle – Durchbrechung der Bestandskraft eröffneten Rahmen nicht verlässt. Die Änderbarkeit eines Änderungsbescheides ist mithin begrenzt auf den Umfang der Änderung. Für darüber hinaus gehende Änderungen bedarf es einer eigenständigen Berichtigungsvorschrift, wobei die Änderung eines Antrags- oder Wahlrechts selbst keine solche darstellt. Nichts anderes ergibt sich aus § 177 AO. Absatz 3 dieser Vorschrift ermöglicht zwar die nachträgliche Änderung eines ausgeübten Wahlrechts, aber ebenfalls nur, soweit die Änderung reicht. Bei einer Änderung zu Gunsten des Steuerpflichtigen darf sie die bisherige Steuer nicht übersteigen (§ 177 Abs. 2 AO).
Die Anpassung eines bestandskräftigen Steuerbescheides an einen Grundlagenbescheid führt nur in Höhe der Anpassung zu einer Durchbrechung der Bestandskraft und damit zu einer „Öffnung“ des Steuerbescheides. Dass die Änderung des Veräußerungsgewinns, maßgeblicher Anlass für den Antrag auf ermäßigte Besteuerung, Grund für die Änderung des Einkommensteuerbescheids war, ist nach Auffassung des Senats für die Anwendbarkeit der §§ 351 Abs. 1, 177 AO unerheblich. Eine anderweitige eigenständige Berichtigungsvorschrift lag wiederum nicht vor. Insbesondere stellt die Rücknahme eines Antrags auf ermäßigte Besteuerung kein sog. rückwirkendes Ereignis dar.
Hinweis:
In der Praxis darf vor einem Antrag auf ermäßigte Besteuerung nicht nur auf die im Veranlagungszeitraum vorgenommene Veräußerung abgestellt werden. Ebenso müssen mögliche spätere Veräußerungen des Steuerpflichtigen – sofern zum jeweiligen Zeitpunkt bereits beurteilbar - in die Betrachtung miteinbezogen werden. Der BFH betont angesichts des Gesetzeszwecks des § 34 Abs. 3 EStG, dass der Steuerpflichtige seine aktuellen Einkünfte kenne und seine zu erwartenden Einkünfte besser prognostizieren könne als jeder andere. Dann habe er auch das Risiko einer etwaigen Fehleinschätzung zu tragen.