Die ESG-Transformation
Neue Regulatorik bewegt Unternehmen zum Handeln
Die Corporate Social Responsibility Directive (CSRD) wirft ihre Schatten voraus: Tausende deutsche Unternehmen werden in Kürze zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung verpflichtet sein. Diese erfordert erhebliche Veränderungen im Bereich ESG. Viola Möller und Carmen Auer, Partnerinnen aus dem Bereich Sustainability Services bei BDO, erklären im Interview, vor welchen Herausforderungen Unternehmen hierbei stehen und wie die ESG-Transformation gelingen kann.
Rund 50.000 Unternehmen in der EU sind angehalten, für die Geschäftsjahre beginnend ab dem 1. Januar 2025 ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß der Vorgaben der Corporate Social Responsibility Directive (CSRD) zu gestalten – ab dem 1. Januar 2026 folgen viele weitere. Was bedeutet das im Detail?
Viola Möller (VM): Die EU verfolgt mit der CSRD das ambitionierte Ziel, die Nachhaltigkeitsberichterstattung europäischer Unternehmen auf eine Stufe mit ihrer Finanzberichterstattung zu stellen. Aus diesem Grund sind große und kapitalmarktorientierte Unternehmen dazu verpflichtet, umfangreiche Reportings zu erstellen, die Informationen und Kennziffern rund um das Thema ESG (Environment, Social, Governance) enthalten. Allein in Deutschland sprechen wir hier von 15.000 berichtspflichtigen Unternehmen ab dem Berichtsjahr 2025, sofern die EU-Richtlinie noch in diesem Jahr in nationales Recht umgesetzt wird. Diese stehen nun vor der Mammutaufgabe, sich mit tausenden Seiten Gesetzestexten auseinandersetzen zu müssen und zu prüfen, welche der rund 1.200 qualitativen und quantitativen Datenpunkte in den Themenfeldern Umwelt, Soziales und Unternehmensführung für sie wesentlich sind. Diese Aufgabe ist sehr zeitintensiv und auch inhaltlich herausfordernd.
Denken Sie, dass sich die Unternehmen gut auf die neuen regulatorischen Anforderungen vorbereitet haben?
Carmen Auer (CA): Dazu möchte ich keine pauschale Aussage treffen. Es gibt Unternehmen, in denen ESG eine untergeordnete Rolle spielt und Unternehmen, die schon lange verstanden haben, dass das Thema ESG keines ist, vor dem man sich langfristig verschließen sollte, da es im Sinne der Langlebigkeit eines Unternehmens eine entscheidende Rolle spielt. Durch die CSRD bleibt aber auch den Zurückhaltenden keine andere Möglichkeit mehr, als in die Auseinandersetzung mit den ESG-Themen zu gehen. Bessere Voraussetzungen haben natürlich die Unternehmen, die sich aus eigenem Antrieb mit Nachhaltigkeit und dessen Geschäftsrelevanz beschäftigen.
Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen denn typischerweise, wenn sie das Thema ESG vorantreiben wollen?
VM: Ich denke, die größte Herausforderung besteht als Unternehmerin oder Unternehmer erst einmal darin, herauszufinden: Welche Herausforderungen, aber auch welche Potentiale bieten sich uns durch die Auseinandersetzung mit der ESG-Regulatorik und wie ist diese anschlussfähig zur übergeordneten Unternehmensstrategie? Gerade der Konnex zur Unternehmensstrategie ist initial oft nicht sofort erkennbar und dann auch der Grund, warum das Thema ESG bislang vielleicht eher stiefmütterlich behandelt wurde. Es bedarf aber einer stringenten Strategie, um den anspruchsvollen Reporting-Anforderungen gerecht werden zu können. Das Reporting soll nämlich keinen Selbstzweck erfüllen, sondern die wesentlichen Auswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit sowie die Chancen und Risiken im Kontext von ESG widerspiegeln. Und diese Strategie muss nun erarbeitet werden. Hierbei spielen dann auch die Finanzen eine wichtige Rolle, denn Transformation ist immer mit hohen Investitionen verbunden und ESG kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf Geschäftsverlauf, Ergebnis und Lage eines Unternehmens ausüben.
Wo Herausforderungen, da auch Chancen. Welche Möglichkeiten haben Unternehmen, die ESG-Regulatorik im positiven Sinne zur Transformation von Prozessen und Strukturen zu nutzen und dadurch die Organisation fit für die Zukunft zu machen?
CA: Zunächst einmal müssen Unternehmerinnen und Unternehmer verstehen, dass die ESG-Regulatorik kein notwendiges Übel ist, sondern auch eine Chance zur Transformation bereithält – insofern man sich ernsthaft damit befasst. Ich kann aus eigener Erfahrung und durch die Projekte mit unseren Kundinnen und Kunden sagen, dass innerhalb unserer Zusammenarbeit bei allen Beteiligten immer der berühmte „Aha-Effekt“ eingetreten ist. Wer es beispielsweise schafft, seine Produkte nachhaltiger zu produzieren oder sich bemüht, Lieferkettenrisiken zu minimieren, wird nicht nur neue Kundinnen und Kunden gewinnen, sondern auch neue Umsatzquellen erschließen können und finanzielle Risiken abschwächen. Die tatsächlichen Möglichkeiten unterscheiden sich selbstverständlich von Geschäftsmodell zu Geschäftsmodell. Es gilt also genau zu analysieren: Was können wir an unseren Prozessen und Strukturen unter einer ESG-Perspektive ändern? Und welche positiven Auswirkungen auf den unternehmerischen Erfolg werden unsere geplanten Maßnahmen langfristig haben?
Was ist – Ihrer Meinung nach – die entscheidende Stellschraube, wenn es um nachhaltige Transformation geht?
VM: Das Thema „nachhaltige Transformation“ muss ein fester Bestandteil der Unternehmensstrategie werden. Es darf nicht nur eine Unternehmenseinheit geben, die sich sporadisch und im Projektmanagementsinne mit den Themen beschäftigt, sondern muss als cross-funktionale Aufgabe verstanden werden, die in ihrem Ausmaß nur gemeinschaftlich erfolgreich zu meistern ist – und darüber hinaus auch fest in der Unternehmenskultur verankert wird. Nur wenn sich ein nachhaltiges Mindset breit im Unternehmen etabliert, wird die Transformation langfristig gelingen.
Welche Rolle spielt eigentlich die Digitalisierung, wenn wir über das Thema ESG-Transformation sprechen?
CA: Die Erstellung eines ESG-Reportings erfordert die zuverlässige Zusammenstellung einer hohen Zahl an Datenpunkten aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen. Es erklärt sich also von selbst, dass Unternehmen mittelfristig auf professionelle Softwarelösungen zurückgreifen müssen, wenn sie Daten in entsprechend hoher Qualität – wie sie für das Reporting vorausgesetzt werden – erfassen und aufbereiten wollen. Eine profunde Datenerhebung ist aber natürlich nicht nur für das Reporting und das Monitoring der ESG-Maßnahmen von Vorteil, sondern ermöglicht u. a. auch Einblicke in die Rentabilität der Nachhaltigkeitsmaßnahmen und deren strategische Steuerung.
Haben Sie noch eine Empfehlung für Unternehmen, die das Thema ESG bislang nur am Rande behandelt haben? Wo können diese ansetzen?
VM: Ich denke, der erste Schritt muss sein, zu schauen: Welche gesetzlichen Anforderungen müssen überhaupt erfüllt werden? Und welche Stakeholder werden benötigt, um diesen Anforderungen gerecht zu werden? Wenn man diese grundlegenden Fragen geklärt hat, können die weiteren Schritte umso effizienter geplant werden. Dann sprechen wir davon, die sogenannten Themen zu identifizieren – Stichwort: Doppelte Wesentlichkeitsanalyse. Herauszufinden, welche Risiken und Chancen damit einhergehen und zu prüfen, welche Daten oder Strategien hierzu vielleicht sogar schon vorliegen. Erst wenn all diese Schritte abgeschlossen sind, können entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, die am Ende in der Erstellung des Berichts münden. Dieser Prozess kann langwierig und zeitintensiv sein. Je eher man also loslegt, desto besser.
Vielen Dank für das Gespräch!