Blickpunkt: Relevanz von IFRS 17 (Versicherungsverträge) für Nicht-Versicherungsunternehmen

Blickpunkt: Relevanz von IFRS 17 (Versicherungsverträge) für Nicht-Versicherungsunternehmen

In den Anwendungsbereich fallen grundsätzlich alle Unternehmen, die Versicherungsverträge ausgeben. Somit sind nicht nur Versicherungsunternehmen im eigentlichen Sinne, sondern auch all diejenigen Unternehmen, welche Verträge herausgeben, die die Definition eines Versicherungsvertrags erfüllen, von der Anwendung des IFRS 17 betroffen. Allerdings gelten die Regelungen von IFRS 17 nur für den Versicherungsgeber, nicht für den Versicherungsnehmer (es sei denn es handelt sich um Rückversicherungsverträge).

Unternehmen sind angehalten, sich intensiv mit ihren Verträgen auseinandersetzen, um festzustellen, ob diese oder einzelne Bestandteile die Definition eines Versicherungsvertrags erfüllen. Ist die Definition erfüllt, gilt IFRS 17 für den gesamten Vertrag. Bisher konnten Bilanzierer unter Anwendung des zuvor geltenden IFRS 4 mittels Bewertungsgrundsätzen anderer Standards bilanzieren (insbesondere IFRS 15 oder IAS 37). Dies lässt IFRS 17 nicht mehr zu. IFRS 17 enthält eigene detaillierte Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften, die auf den identifizierten Versicherungsvertrag anzuwenden sind. Eigenständig abgrenzbare Güter oder Dienstleistungen sowie eigenständig abgrenzbare Investmentkomponenten und bestimmte eingebettete Derivate sind auch unter IFRS 17 getrennt zu bilanzieren. Da der Standard branchenübergreifend ist, gilt es zu prüfen, ob auch Verträge, die von Nicht-Versicherungsunternehmen ausgegeben werden, die Kriterien eines Versicherungsvertrags gemäß IFRS 17 erfüllen und damit verpflichtend den Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften des neuen Standards unterliegen.

Ausnahmen vom Anwendungsbereich und Anwendungswahlrechte

Bei der Beurteilung, ob ein Versicherungsvertrag dem Anwendungsbereich von IFRS 17 unterliegt, sind verschiedene Kriterien heranzuziehen. Als erstes ist zu prüfen, ob der betreffende Vertrag einer Ausnahmeregelung des Anwendungsbereichs des Standards unterliegt. Gewisse Verträge sind, obwohl sie die Definition eines Versicherungsvertrags erfüllen, vom Anwendungsbereich des Standards grundsätzlich ausgeschlossen (IFRS 17.7). Dies trifft beispielsweise auf folgende Sachverhalte zu:

  • die Gewährung von Garantien durch Hersteller, Groß- oder Einzelhändler in Verbindung mit dem Verkauf von Waren und Dienstleistungen an einen Kunden (diese sind nach IFRS 15 zu bilanzieren),
  • Versicherungsverträge, bei denen das Unternehmen ein Versicherungsnehmer ist, sofern es sich nicht um gehaltene Rückversicherungsverträge handelt (diese werden i.d.R. nach IAS 37 bilanziert),
  • im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses zu zahlende oder ausstehende bedingte Gegenleistungen (diese sind nach IFRS 3 zu bilanzieren) oder auch
  • Vermögenswerte und Verbindlichkeiten von Arbeitgebern aus Versorgungsplänen für Arbeitnehmer (diese sind nach IAS 19, IAS 26 oder IFRS 2 zu bilanzieren).

Neben den verpflichtend anzuwendenden Ausnahmen bestehen zudem Wahlrechte, Verträge, die die Definition eines Versicherungsvertrags erfüllen, nach anderen einschlägigen Standards bilanzieren zu dürfen als nach IFRS 17. So darf ein Unternehmen anstelle von IFRS 17 die Regelungen des IFRS 15 anwenden, wenn der primäre Zweck des Versicherungsvertrags darin besteht, eine Dienstleistung gegen ein festes Entgelt zu erbringen (z.B. Wartungsvertrag). Um das Wahlrecht in Anspruch nehmen zu dürfen, müssen die folgenden drei Bedingungen kumulativ erfüllt sein:

  • Die Bepreisung des Vertrags beruht nicht auf den mit einem Kunden verbundenen individuellen Risiken,
  • der Kunde wird durch die Erbringung einer Dienstleistung entschädigt und nicht mittels Barzahlung und
  • das übernommene Versicherungsrisiko durch den Versicherungsgeber entsteht hauptsächlich durch die Nutzung der Dienstleistung durch den Versicherungsnehmer und nicht aus der Ungewissheit in Bezug auf die Kosten dieser Dienstleistung.

Das Wahlrecht darf für jeden Vertrag einzeln ausgeübt werden (IFRS 17.8), ist aber unwiderruflich.

Weiterhin bestehen unter bestimmten Voraussetzungen Wahlrechte zur Anwendung von IFRS 9 anstelle der Regelungen von IFRS 17, z.B. bei bestimmten Versicherungsleistungen in Darlehens-, Garantie oder Kreditkartenvereinbarungen.

Grundsätzlich sind abgrenzbare Güter und Dienstleistungen, bei denen es sich nicht um Versicherungsleistungen handelt, aus Versicherungsverträgen herauszulösen und nach IFRS 15 zu bilanzieren, ebenso Derivate oder Kapitalanlagekomponenten nach IFRS 9. Der verbleibende Teil des Versicherungsvertrags unterliegt dem Anwendungsbereich von IFRS 17 (IFRS 17.13).

Definition eines Versicherungsvertrags

Sollte der Vertrag nicht vom Anwendungsbereich ausgenommen sein, erfolgt im nächsten Schritt die Prüfung der Definition eines Versicherungsvertrags. Dieser ist gemäß IFRS 17.A definiert als ein Vertrag, bei welchem der Versicherungsgeber ein signifikantes Versicherungsrisiko vom Versicherungsnehmer übernimmt, wobei er sich verpflichtet, den Versicherungsnehmer zu entschädigen, wenn ein festgelegtes ungewisses künftiges Ereignis den Versicherungsnehmer nachteilig betrifft. Zu Beginn eines Versicherungsvertrags besteht nach IFRS 17.B3 bei mindestens einem der folgenden Punkte Ungewissheit: der Wahrscheinlichkeit, dass ein versichertes Ereignis eintritt, dem Zeitpunkt, an dem das versicherte Ereignis eintreten wird oder der Höhe der Entschädigungszahlung bei Eintritt des versicherten Ereignisses. Vertraglich muss ein für den Versicherungsnehmer spezifisches nicht-finanzielles Risiko vom Versicherungsgeber übernommen werden, welches signifikant ist. Wird lediglich ein finanzielles Risiko übertragen, wie beispielsweise eine mögliche künftige Änderung eines Rohstoffpreises oder Wechselkurses, fällt dieses in den Anwendungsbereich von IFRS 9. Die Signifikanz eines Versicherungsrisikos ist einzelfallbezogen zu prüfen. Der Standard enthält explizit keinen quantitativen Schwellenwert für die Signifikanz des Versicherungsrisikos, um keine Gestaltungsspielräume zu eröffnen. Unternehmen müssen entsprechende Ermessensausübungen vornehmen (IFRS 17.BC77ff.).

Der Standard enthält in den Anwendungsleitlinien IFRS 17.B2-.B30 Leitlinien zur Definition von Versicherungsverträgen.

So gelten nach IFRS 17.B26 u.a. folgende Beispiele als Versicherungsverträge, sofern das übertragene Versicherungsrisiko signifikant ist:

  • Bürgschaften, Kautionsversicherungen, Gewährleistungsbürgschaften und Bietungsbürgschaften, d.h. Verträge, die den Versicherungsnehmer entschädigen, wenn eine andere Partei eine vertragliche Verpflichtung nicht erfüllt, z.B. eine Verpflichtung ein Gebäude zu errichten;
  • Produktgewährleistungen, die von einer anderen Partei als dem Hersteller etc., für vom Hersteller, Groß- oder Einzelhändler verkaufte Waren gewährt werden;
  • Produkthaftpflichtversicherungen.

U.a. folgende Verträge stellen dagegen nach IFRS 17.B27 keine Versicherungsverträge dar, mit der Folge, dass diese in den Anwendungsbereich der jeweils geltenden Standards, wie IFRS 9 oder IFRS 15, fallen:

  • Kreditbezogene Garantien, die Zahlungen auch dann verlangen, wenn dem Garantienehmer kein Schaden dadurch entstanden ist, dass der Schuldner eine Zahlung nicht geleistet hat, als diese fällig war;
  • Verträge, die eine Zahlung vorsehen, die von einer klimatischen, geologischen oder anderen physikalischen Variable anhängt, die nicht spezifisch für eine Vertragspartei ist (Wetterderivate);
  • Verträge, die in Abhängigkeit von einer klimatischen, geologischen oder anderen physikalischen Variable reduzierte Zahlungen von Kapital, Zinsen oder beidem vorsehen, wenn die Auswirkungen dieser Variable nicht für eine Vertragspartei spezifisch sind (Katastrophenbonds).

Bilanzielle Abbildung

Stellt ein Vertrag einen Versicherungsvertrag gemäß IFRS 17 dar, für den kein Ausnahmetatbestand im Standard vorgesehen ist und kein Wahlrecht zur Bilanzierung nach einem anderen einschlägigen Standard zur Anwendung kommt, erfolgt die bilanzielle Abbildung grundsätzlich verpflichtend auf Portfolio-Ebene. Als Portfolio zusammenzufassen sind hierfür Verträge, die ein ähnliches Risikoprofil aufweisen und unternehmensintern einer gemeinsamen Steuerung unterliegen. Das vom Unternehmen bestimmte Portfolio wird nach IFRS 17.16 in mindestens drei Gruppen unterteilt:

  • Verträge, die bereits beim erstmaligen Ansatz belastend sind,
  • Verträge, bei denen beim erstmaligen Ansatz keine signifikante Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass diese belastend werden und
  • die verbleibenden Verträge des betreffenden Portfolios.

Die zuvor genannten und nach IFRS 17.14 bis .23 bestimmten Vertragsgruppen gelten als unit of account, auf die die Ansatz- und Bewertungsvorschriften von IFRS 17 anzuwenden sind (IFRS 17.24).

Ansatz

Eine Gruppe von Versicherungsverträgen ist vom ausstellenden Unternehmen nach IFRS 17.25 zum frühesten der folgenden Zeitpunkte anzusetzen:

  • zu Beginn des Deckungszeitraums (Zeitraum, in dem das Unternehmen Leistungen gemäß des Versicherungsvertrags erbringt) der Gruppe von Verträgen;
  • zum Zeitpunkt, an dem die erste Zahlung eines Versicherungsnehmers in der Gruppe fällig wird;
  • für eine Gruppe von belastenden Verträgen, wenn die Gruppe belastend wird.

Bewertung

Für die Bewertung von Versicherungsverträgen hält IFRS 17 drei Bewertungsansätze vor, die je nach Art des Versicherungsvertrags zur Anwendung kommen:

  • das General Measurement Model (oder auch Building Block Approach)
  • den Premium Allocation Approach
  • den Variable Fee Approach.

Das General Measurement Model findet als allgemeines Modell Anwendung auf alle Versicherungsverträge, die in den Anwendungsbereich von IFRS 17 fallen, sofern keines der anderen beiden Modelle einschlägig ist. Bei diesem Modell wird eine Gruppe von Versicherungsverträgen, welche die IFRS 17 unit of account darstellt, im Zugangszeitpunkt als Summe aus Erfüllungswert und vertraglicher Servicemarge bewertet.

Der Premium Allocation Approach darf nach IFRS 17.53 wahlweise als Vereinfachung des allgemeinen Modells angewendet werden, wenn die Laufzeit aller Verträge, die einer Gruppe angehören, 12 Monate nicht überschreitet oder wenn eine Bewertung mit diesem keine wesentliche Abweichung von einer Bewertung mit dem General Measurement Modell darstellt. Die Deckungsrückstellung wird bei diesem Modell für künftige noch nicht eingetretene Ereignisse vereinfacht berechnet, in dem diese beim erstmaligen Ansatz den etwaigen beim erstmaligen Ansatz erhaltenen Prämien abzüglich anfänglicher Zahlungen für Abschlusskosten entspricht. Eine Unterscheidung zwischen Erfüllungswert und vertraglicher Servicemarge entfällt somit. Der Ansatz ähnelt damit dem Prinzip der Erlöserfassung von IFRS 15.

Der Variable Fee Approach findet ausschließlich auf bestimmte Versicherungsverträge Anwendung, die durch eine direkte Überschussbeteiligung gekennzeichnet sind, bei denen die Zahlungen an den Versicherungsnehmer vertraglich an Referenzwerte gebunden sind und wesentlich mit dem Wert dieser schwanken.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass auch Verträge, die von Nicht-Versicherungsunternehmen herausgegeben werden, in den Anwendungsbereich von IFRS 17 fallen können, solange diese nicht durch Ausnahmen bzw. Wahlrechte aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen sind.

Wir verweisen bzgl. des Themas auch auf einen Beitrag in der PiR Heft 11/2023 (im Erscheinen), der das Thema Wesentlichkeit im Zusammenhang mit dem Übergang auf IFRS 17 beleuchtet.