IBOR Phase 2 in EU-Recht übernommen – Analyse der neuen Vorschriften

Anlass und Problemstellung

Interbank Offered Rates (IBOR) werden seit Jahrzehnten als Referenzzinssätze auf den Finanzmärkten verwendet. Zu diesen Interbankensätzen zählen u. a. der EURIBOR oder LIBOR. Nach Aufdeckungen von Marktmanipulationen wurde auf EU-Ebene eine IBOR-Reform eingeläutet, mit dem Resultat, dass bis Ende 2021 keine Preisstellung in bisheriger Form mehr für die kurzfristige, unbesicherte Überlassung von Kapital zwischen Finanzinstituten geben wird. Ziel ist die Reformierung bisheriger IBORs bzw. diese nach und nach durch sog. risikofreie Zinssätze abzulösen. Ein wichtiger Parameter (IBOR) in einer Vielzahl von Transaktionen mit Finanzinstrumenten fällt weg.

Als Reaktion hatte der IASB im Juni 2018 ein 2-Phasen Projekt zur Erarbeitung von Änderungen gestartet. Mit den bereits am 15. Januar 2020 in EU-Recht übernommenen Änderungen durch Phase 1 seines IBOR-Projekts hat der IASB die Fortführung von Sicherungsbeziehungen trotz des angekündigten Wechsels im Benchmark-Zinssatz ermöglicht.

Am 27. August 2020 wurde Phase 2 durch ein finales Amendment veröffentlicht, welches Änderungen an IFRS 9, IAS 39, IFRS 7, IFRS 4 und IFRS 16 vorsieht. Diese Änderungen wurden am 14. Januar 2021 in EU-Recht übernommen.

Erleichterungen für die bilanzielle Abbildung von Modifikationen von Finanzinstrumenten

Eine Änderung der Ermittlung vertraglicher Zahlungsströme infolge der IBOR-Reform kann eine Modifikation nach IFRS 9 darstellen, selbst wenn sich keine vertraglichen Bedingungen ändern. Der IASB befindet, dass die Erfassung eines Modifikationsergebnisses unter Beibehaltung des ursprünglichen Effektivzinssatzes keine für die wirtschaftlichen Entscheidungen der Adressaten nützlichen Informationen vermitteln würde.

Dafür wurde in IFRS 9.5.4.7 eine praktische Erleichterung (practical expedient) implementiert, wonach für Barwertänderungen durch den Übergang auf die neuen Referenzzinssätze IFRS 9.B5.4.5 anzuwenden ist. Danach hat eine Neueinschätzung der vertraglichen Zahlungsströme aufgrund der Anpassung des variablen Zinssatzes an den marktgerechten Referenzzinssatz in der Regel keine Auswirkung auf den Buchwert des Finanzinstruments.

Anwendungsbereich der praktischen Erleichterung

Die neuen Vorschriften zur praktischen Erleichterung (IFRS 9.5.4.5-9) befinden sich in Abschnitt 5.4 „Amortised cost measurement“ des IFRS 9 und beziehen sich damit bei strenger Auslegung nicht auf finanzielle Vermögenswerte und finanzielle Verbindlichkeiten, die GuV-wirksam bzw. OCI-wirksam zum beizulegenden Zeitwert bewertet werden. Da die neuen Vorschriften den Effektivzins zum Gegenstand haben, ist es jedoch denkbar, diese Vorschriften auch auf finanzielle Vermögenswerte anzuwenden, die OCI-wirksam zum beizulegenden Zeitwert bewertet werden, da die Zinserfassung in der GuV dem Vorgehen bei Finanzinstrumenten, die zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet werden, entspricht.[1]

Die praktische Erleichterung ist – folgt man dem Wortlaut - nach unserem Verständnis verpflichtend anzuwenden, sofern die Anwendungsvoraussetzungen erfüllt werden („shall apply“; IFRS 9.5.4.5 und IFRS 9.5.4.7). Der „klassische“ practical expedient sieht hingegen üblicherweise Erleichterungen bei der Anwendung der IFRS vor, die – soweit die jeweiligen Anwendungsvoraussetzungen erfüllt sind – angewendet werden dürfen, aber eben nicht müssen.

Abgrenzung zu nicht durch die IBOR-Reform verursachte Änderungen

Werden im Zuge der vertraglichen Änderungen infolge der IBOR-Reform weitere vertragliche Änderungen (z.B. Laufzeit des Finanzinstruments) vorgenommen, ist gem. IFRS 9.5.4.9 in einem ersten Schritt die praktische Erleichterung in Bezug auf die durch die IBOR-Reform ausgelöste Modifikation anzuwenden. In einem zweiten Schritt sind die übrigen Vertragsanpassungen nach den allgemeinen Regelungen des IFRS 9 abzubilden.

Fortführung bilanzieller Sicherungs­beziehungen

Vorbehaltlich der Änderungen an IFRS 9 und IAS 39 würde eine durch die IBOR-Reform ausgelöste Änderung des Referenzzinssatzes zwangsläufig zu einer Beendigung einer bilanziellen Sicherungsbeziehung führen, sofern der erwartete Wechsel dieses Zinssatzes in der Dokumentation der Sicherungsbeziehung nicht angesprochen ist. Der IASB sieht dies – analog zur Argumentation bei der Modifikation eines Finanzinstruments – als nicht zielführend an.

Die neu aufgenommenen Vorschriften zum Hedge Accounting (IFRS 9.6.9.1-6 bzw. IAS 39.102P-U) erlauben daher eine nachträgliche Anpassung der Dokumentation aufgrund der IBOR-Reform, ohne dass die bilanzielle Sicherungsbeziehung beendet werden muss.

Anwendungsvoraussetzungen

Zur Inanspruchnahme der Vorschriften müssen die folgenden drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein (IFRS 9.6.9.2 bzw. IAS 39.102Q):

  • Die Änderungen werden notwendig durch die IBOR-Reform.
  • Die Änderungen führen nicht zu einer Ausbuchung des Sicherungsgeschäfts.
  • Der geänderte Zins ist wirtschaftlich gleichwertig mit dem vorherigen Zins.

Die zweite Voraussetzung – die Änderungen führen nicht zur Ausbuchung des Sicherungsgeschäfts – ist darauf zurückzuführen, dass bei einer Ausbuchung des Sicherungsgeschäfts die Sicherungsbeziehung zwangsläufig beendet werden muss, sodass kein Bedarf seitens des IASB bestand, Regelungen zu erlassen, welche das Fortbestehen solcher Sicherungsbeziehungen ermöglichen sollten. Unklar bleibt im Amendment jedoch, ob diese Regelung auf bei Modifikationen, die zu einer Ausbuchung des Grundgeschäfts führen, anzuwenden ist. Cashflow Hedge-Beziehungen von variabel verzinslichen Finanzinstrumenten sind in den IFRS nicht ausgenommen und daher ist es theoretisch denkbar, dass diese auch Gegenstand von Modifikationen sein könnten.

Bewertungsanpassungen

Die noch im Standardentwurf enthaltenen ausführlichen Regelungen zur bilanziellen Abbildung von Modifikationen des Referenzzinssatzes bei Fair Value Hedges wurden nicht in den finalen Standard übernommen. Es gelten die allgemeinen Regelungen.

Bei Cashflow Hedges ist die über das sonstige Ergebnis gebildete Rücklage auf Basis des neuen alternativen Referenzzinssatzes zu bilden (IFRS 9.6.9.7). Eine entsprechende Annahme gilt für bereits beendete Cashflow Hedges nach IFRS 9.6.9.8, wonach das Recycling der bestehenden Cashflow Hedge-Reserve ab der Umstellung des Referenzzinssatzes erfolgt. Eine Umstellung des Referenzzinssatzes führt daher nicht zu einem Recycling der Rücklage einer noch nicht beendeten Sicherungsbeziehung.

Designation von Risikokomponenten

Die allgemeinen Vorschriften des IFRS 9 (und des IAS 39) zur bilanziellen Abbildung von Sicherungsbeziehungen verlangen bei der Designation einer Risikokomponente, dass diese getrennt identifizierbar und verlässlich bewertbar sein muss.

Im Rahmen der IBOR-Reform wäre bei gerade entstehenden Märkten keine Designation mehr möglich, da die Identifizierbarkeit noch nicht gegeben ist. Vor diesem Hintergrund sieht die Änderung des IFRS 9 (und des IAS 39) eine erwartete Identifizierbarkeit voraussichtlich innerhalb der nächsten 24 Monate vor.

Änderungen an IFRS 7, IFRS 4 und IFRS 16

Für Versicherer (Modifikationen von Finanzinstrumenten infolge der IBOR-Reform) und Leasingnehmer (Umgang mit lease modifications als direkte Folge der IBOR-Reform) wurden ebenfalls entsprechende Erleichterungen in IFRS 4 bzw. IFRS 16 eingebaut. Zudem wurden die Angabepflichten nach IFRS 7 um (rein) qualitative Angaben zu den Auswirkungen der IBOR-Reform erweitert.

Übergangsvorschriften

Die Änderungen durch IBOR Phase 2 gelten für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1.1.2021 beginnen. Die Anwendung erfolgt retrospektiv, jedoch ohne Verpflichtung der Anpassung der Vorjahre.

 

[1] Gl.A. Geisel/Spieles, BB 2020, S. 1325 (zum ED/2020/1).

* In Anlehnung an Strampelli/Schubert, PiR 2020, S. 349-354.