FISG & Enforcement: BaFin-Prüfungsschwerpunkt im Kontext der nationalen und internationalen Vorgaben

Einleitung

Am 29.11.2021 veröffentlichte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ihren Prüfungsschwerpunkt Reverse Factoring für das nachfolgende Kalenderjahr 2022 betreffend Abschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmen aus dem Kalenderjahr 2021. Neben dem Schwerpunkt der BaFin und den zusätzlichen Hinweisen sind ebenso die gemeinsamen europäischen Prüfungsschwerpunkte zu beachten. Die sog. European Common Enforcement Priorities der Europäischen Wertpapier-Marktaufsichtbehörde (European Securities and Markets Authority; ESMA) wurden bereits am 29.10.2021 veröffentlicht (u.a. Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, klimabezogene Risiken und erwartete Kreditausfallrisiken bei Kreditinstituten). Siehe hierzu detailliertere Informationen in unserem Blog-Beitrag vom 08.11.2021.

Reform der Bilanzkontrolle durch das FISG

  • Übergang und Erweiterungen der Befugnisse

Sowohl Stichprobenprüfungen als auch anlassbezogene Prüfungen werden künftig durch das einstufige staatlich-hoheitliche Enforcement Verfahren durchgeführt. Prüfungen, die durch die DPR begonnen, aber bis zum 31.12.2021 nicht abgeschlossen wurden, werden durch die BaFin nach den Regelungen in §§ 106-113 WpHG fortgeführt (§ 141 Abs. 1 WpHG). Betroffene dieser Prüfung sind weiterhin Emittenten mit an einem geregelten Markt zugelassenen Wertpapieren mit Herkunftsstaat Deutschland (§ 106 WpHG). Der Zeitraum für anlassbezogene Prüfungen wurde allerdings erweitert: Gem. § 107 Abs. 2 WpHG kann dieser für eine effektive Bilanzkontrolle nun nicht mehr nur das zu prüfende Geschäftsjahr, sondern auch die zwei diesem vorausgegangenen Jahre umfassen. 

Zusätzlich erhält die BaFin das Recht, neben der Durchführung von forensischen Prüfungen auch die Öffentlichkeit schneller zu informieren als bisher. Zudem werden Verschwiegenheitspflichten aufgehoben und bei konkreten Anhaltspunkten die Durchsuchung von Geschäfts- und Wohnräumen gestattet (§ 107 Abs. 7 WpHG). Dadurch wird die BaFin in die Lage versetzt, eine effektive Bilanzkontrolle gewährleisten zu können.

  • Überblick des künftigen Verfahrensablaufs

Der bekannte Verfahrensablauf aus „Prüfungseröffnung – Prüfungsfeststellung – Fehlerbekanntmachung“ bleibt erhalten (§ 107 Abs. 1 sowie § 109 Abs. 1 und 2 WpHG). Da es sich nunmehr um einen Verwaltungsakt handelt, entfällt aber die Mitwirkungserklärung durch den Geprüften. Ebenso können künftige bedeutsame Verfahrensschritte und Feststellungen schon im laufenden Verfahren durch die BaFin veröffentlicht werden.

Sollten Fehler in der Rechnungslegung erkannt werden, erfolgt eine Fehlerfeststellung sowie - im Ermessen der BaFin - eine Feststellung, wie sich die Rechnungslegung ohne die Fehler dargestellt hätte (§ 109 Abs. 1WpHG). Da die Bekanntmachung durch die BaFin einen Realakt darstellt, entfällt zukünftig die Anordnung der Fehlerbekanntmachung. Eine etwaige Neuaufstellung des fehlerhaften Abschlusses obliegt der BaFin selbst (§ 109 Abs. 2 Satz 4 WpHG). Weiterhin strebt die BaFin aussagegemäß ein „proaktiveres Enforcement“[1] an, wodurch von einer hohen Interaktion mit dem Management der geprüften Unternehmen sowie dessen Abschlussprüfern ausgegangen werden kann.

  • Einbindung in die ESMA Extracts

Mit dem FISG werden die Anmerkungen der ESMA aus dem Peer Review zu den ESMA-Leitlinien zur Überwachung von Finanzinformationen aufgegriffen und die Konformität Deutschlands mit den ESMA-Leitlinien erwünscht. Auch deutsche Enforcement-Entscheidungen sollen – anders als bisher - anonymisiert (§ 111 Abs. 2 WpHG) künftig den Weg in den europäischen Katalog finden.

BaFin-Prüfungsschwerpunkt 2022: Reverse Factoring

  • Struktur

Im Rahmen einer Reverse Factoring-Vereinbarung werden aktuelle oder künftige Forderungen aus Lieferungen und Leistungen an beispielsweise ein Kreditinstitut oder Factoring-Unternehmen verkauft bzw. übertragen. In der Praxis werden häufig die bisherigen Vertragskonditionen wie zum Beispiel das Zahlungsziel vorteilhaft für den Schuldner angepasst.[2]

  • Bilanzielle Abbildung nach Handelsrecht aus Sicht des Kunden/Schuldners - Überblick

Aus der Sicht des Lieferanten wechselt beim Reverse Factoring der Schuldner. Diese Position nimmt nach Abschluss der Vereinbarung der jeweilige Finanzierer ein. Aus Sicht des Schuldners tritt dieser Finanzier an die Stelle des Gläubigers. Aus handelsrechtlicher Sicht ist daher ein bilanzieller Abgang der alten Verbindlichkeit aus Lieferungen und Leistungen und dem Zugang einer neuen Verbindlichkeit aus Lieferungen und Leistungen erforderlich.[3]

Hat der Finanzierer die Zahlung bis zum Abschlussstichtag für die abgetretene Forderung noch nicht geleistet und ist das Reverse Factoring durch einen Schuldbeitritt entstanden, haftet der Abnehmer mit diesem gegenüber dem Lieferanten gesamtschuldnerisch.

Weist der Schuldner weiterhin eine Verbindlichkeit aus Lieferungen und Leistungen aus, ist die Auszahlung zur Erfüllung der Verbindlichkeit in der Kapitalflussrechnung dem „Cashflow aus laufender Geschäftstätigkeit“ zuzuordnen. Erfolgt eine Ausweisänderung zu den „sonstigen Verbindlichkeiten“ gilt das gleiche Vorgehen, da solche gem. DRS 21.9 nicht zu den Finanzschulden gehören. Liegt hingegen eine Änderung zu den „Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten“ vor, hat der Ausweis im „Cashflow aus Finanzierungstätigkeit“ zu erfolgen.[4]

  • Bilanzielle Abbildung nach IFRS aus Sicht des Kunden/Schuldners - Überblick

Auch nach IFRS muss beurteilt werden, ob die bisherige Verbindlichkeit weiterhin auszuweisen ist oder diese ausgebucht wird und der Ansatz einer neuen Verbindlichkeit geboten ist. Wird die bisherige Verbindlichkeit durch Aufhebung, Erfüllung oder Auslaufen getilgt, ist diese auszubuchen (IFRS 9.3.3.1). Das gleiche gilt bei wesentlichen Änderungen in den Vertragsbedingungen bzw. Austausch der Verbindlichkeit mit wesentlich abweichenden Konditionen. Dies ist sowohl anhand quantitativer als auch qualitativer Merkmale zu würdigen (IFRS 9.B3.3.6).

Das IFRS IC hat in seiner Agendaentscheidung „Supply Chain Financing Arrangements – Reverse Factoring“ im Dezember 2020 hierzu klargestellt, dass für den Ausweis der neuen finanziellen Verbindlichkeit in der Bilanz die Regelungen des IAS 1 maßgeblich sind. Für einen Ausweis innerhalb der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen kommt es auf die Charakteristika der Verbindlichkeit an.[5] Aufgrund des häufig im Vordergrund stehenden Finanzierungscharakters wird es regelmäßig zu einer Umklassifizierung von den trade payables (IAS 1.54(k)) in die finanziellen Verbindlichkeiten (IAS 1.54(m)) in der Bilanz des Kunden kommen. Eine Beurteilung ist jedoch stets im Einzelfall vorzunehmen.

Die Zahlungsströme aus Reverse Factoring-Vereinbarungen sind entsprechend dem Charakter der Verbindlichkeit entweder im „Cashflow aus Finanzierungstätigkeit“ bzw. im „Cashflow aus laufender Geschäftstätigkeit“ zuzuordnen. Handelt es sich nach der Einschätzung des bilanzierenden Unternehmens nicht mehr um eine Verbindlichkeit aus Lieferungen und Leistungen, weil die Verbindlichkeit einen Teil der Finanzierung darstellt, stellt nach Ansicht des IFRS IC der Mittelabfluss zur Begleichung der Verbindlichkeit regelmäßig einen Cashflow aus Finanzierungstätigkeit dar.

Zu erwähnen ist an dieser Stelle noch der aktuelle Entwurf ED/2021/10, der die oben angesprochene IFRS IC Entscheidung (nur) für Zwecke der Anhangangaben nach IAS 7 und IFRS 7 klarstellen will.

Sonstige Hinweise der BaFin

  • Notwendigkeit nachvollziehbarer und nachprüfbarer Buchführungsunterlagen

Seit dem AReG im Jahr 2016 erstreckt sich die vorzunehmende Beurteilung der Enforcement-Instanzen auch auf die zugrundeliegende Buchführung (formelle GoB). Grundlagen sind § 238 Abs. 1 sowie § 239 HGB. Es ist davon auszugehen, dass die BaFin eine Erwartungshaltung an eine transparente sowie aussagefähige Dokumentation hat. Je ermessensbehafteter der Fall, desto höher sollten die Anforderungen an die Aussagekraft hinsichtlich der gewählten Bilanzierungsentscheidungen v.a. aus Sicht eines Dritten sein. Ein Blick in die Fehlerveröffentlichungen aus der Vergangenheit – abrufbar im Bundesanzeiger - zeigen die Relevanz des Hinweises der BaFin.

  • Vorhandensein von Zahlungsmitteln

Darüber hinaus plant die BaFin, in begründeten Einzelfällen auch zu prüfen, ob angegebene Zahlungsmittel und Vermögenswerte tatsächlich vorhanden sind. Die Anforderungen aus der Rechnungslegung ergeben sich aus dem allg. Vollständigkeitsprinzip (§ 246 HGB) bzw. für IFRS aus der Definition eine Finanzinstruments (IAS 32.AG3). Hinsichtlich des Nachweises gelten wiederum die Anforderungen an die Buchführungsunterlagen.

 

[1] Zur Diskussion praktischer Änderungen im Verfahrensablauf siehe Becker/Schubert, Stub 3/2022, S. 95.

[2] Vgl. IDW RS HFA 50 Modul IAS 1– M1.

[3] Vgl. Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 13. Aufl. 2022, § 246 Rz. 281.

[4] Vgl. Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 13. Aufl. 2022, § 297 Rz. 61 ff.

[5] Vgl. IDW RS HFA 50 Modul IAS 1 – M1.

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