Das Entlastungsverfahren nach § 50c EStG

Erstmalige Aussagen des BFH in seiner am 22.08.2024 veröffentlichten Entscheidung zu angemessener Bearbeitungszeit und Zinsansprüchen bei Erstattung von Kapitalertragsteuer.

Hintergrund

Schuldner von Kapitalerträgen oder Vergütungen im Sinne des § 50a EStG sind bei grenzüberschreitenden Sachverhalten verpflichtet, einen Steuerabzug vorzunehmen, sofern keine gültige Freistellungsbescheinigung nach
§ 50c Abs. 2 Nr. 1 EStG vorliegt oder die Freigrenze des § 50c Abs. 2 Nr. 2 EStG überschritten ist.

Dies gilt selbst dann, wenn Deutschland aufgrund eines bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens oder nach Unionsrecht unter Berücksichtigung der deutschen Missbrauchsvermeidungsvorschriften kein Besteuerungsrecht zusteht.

Problemstellung: langwieriges Erstattungsverfahren beim BZSt

In diesen Fällen steht dem Gläubiger der Vergütung bzw. der Kapitalerträge ausschließlich der langwierige Weg des Erstattungsverfahrens beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) nach § 50c Abs. 3 EStG offen, um die partielle oder vollständige Steuerentlastung zu erreichen. Der Antrag auf Erstattung ist elektronisch zu übermitteln und stellt ausländische Antragsteller bereits bei der Registrierung für die Nutzung des BZSt-Online-Portals, welche laut Homepage des BZSt aktuell bis zu sechs Wochen dauern kann, vor Herausforderungen.

Nach Antragstellung muss sich der Antragsteller bedauerlicherweise weiterhin in Geduld üben. So teilt das BZSt schon auf seiner Homepage mit, dass die Bearbeitungszeit von Anträgen im Bereich der Erstattung von der Steuer auf deutsche Kapitalerträge über 20 Monate betragen kann. Mit der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage vom 28.03.2024 wurde der Eindruck der Beraterschaft, dass die Bearbeitungszeiten tatsächlich noch länger sind, bestätigt. Danach betrug die Durchlaufzeit eines Erstattungsverfahrens im statistischen Durchschnitt 615 Tage. Vor dem Hintergrund, dass ein Steuerabzug auch dann vorzunehmen ist, wenn eine Freistellungsbescheinigung beantragt, aber noch nicht erteilt wurde, ist auch die durchschnittliche Durchlaufzeit im Freistellungsverfahren mit 480 Tagen bemerkenswert. Folglich sind auch verjährungstechnische Aspekte im Rahmen des Verfahrens im Blick zu behalten.

Die derzeitigen Bearbeitungszeiten des BZSt führen zu erheblichen Liquiditätsnachteilen von Unternehmen mit grenzüberschreitenden Aktivitäten, denen bislang nach nationalen Regelungen mit keinem angemessenen Ausgleich begegnet wird.

Frage der angemessenen Bearbeitungszeit

§ 50c Abs. 2 S.6 EStG sieht vor, dass über einen Freistellungsantrag innerhalb von drei Monaten nach Vorlage aller erforderlichen Nachweise zu entscheiden ist. Es fehlt jedoch eine Konkretisierung, was genau unter „Vorlage aller erforderlichen Nachweise“ zu verstehen ist. Insofern steht dem BZSt ein gewisses Ermessen zu. Zu der Bearbeitungszeit von Erstattungsanträgen gibt es keine gesetzliche Regelung. 

Äußerst begrüßenswert sind vor diesem Hintergrund daher die Ausführungen des BFH in seinem aktuellen Urteil vom 13.03.2024 (Az. I R 1/20), welches am 22.08.2024 veröffentlicht wurde und worin erstmals zu der Dauer einer angemessenen Bearbeitungszeit eines Antrags auf Erstattung von Kapitalertragsteuer Stellung genommen wird. Demnach sei der Finanzverwaltung nach Eingang des Erstattungsantrags eine angemessene Bearbeitungsfrist einzuräumen. Hierbei sei es sachgerecht, sich an der allgemeinen Frist zu orientieren, binnen derer ein Steuerpflichtiger eine Entscheidung über seinen Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts erwarten kann. Diese Frist beträgt sechs Monate.

Verzinsung des Erstattungsanspruchs

Laut Gesetz sind Erstattungsansprüche in Bezug auf Steuerabzugsbeträge grundsätzlich nicht zu verzinsen (vgl. § 233a Abs. 1 S. 2AO). Eine Ausnahme besteht bzgl. Erstattungen von Abzugsteuern, die nach § 50g EStG zu erstatten sind. Diese Vorschrift wurde durch das EG-Amtshilfe-AnpG vom 02.12.2004 in das EStG aufgenommen und dient der innerstaatlichen Umsetzung der sog. Zins- und Lizenzrichtlinie. 

Der BFH hat nun in seiner oben genannten Entscheidung zudem einen Anspruch auf Verzinsung des Anspruchs auf Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Kapitalertragsteuer bei Dividenden bejaht. Begründet wurde dieser Zinsanspruch mit der Rechtsprechung des EuGH, wonach der Anspruch auf Erstattung nicht nur die unter Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts erhobene Steuer, sondern auch die Einbußen aufgrund mangelnder Verfügbarkeit von Geldbeträgen umfasse. Hinsichtlich des Zeitpunkts, ab wann eine Verzinsung zu erfolgen hat, differenzierte der BFH in dem zu beurteilenden Sachverhalt betreffend einen ausländischen Fonds dahingehend, ob auch inländische Fonds beim Bezug inländischer Dividenden einen Quellensteuerabzug zunächst hinnehmen mussten. Sofern dies der Fall war, wurde ein Verstoß gegen Unionsrecht und damit ein Anspruch auf Verzinsung erst nach Ablauf einer angemessenen Bearbeitungszeit in Bezug auf das zu durchlaufende Erstattungsverfahren, und somit nach Ablauf von sechs Monaten nach Eingang des Erstattungsantrags, zugesprochen. 

Bei der Berechnung des Zinsanspruchs wies der BFH darauf hin, dass diese tageweise zu erfolgen habe und dass sich der Zinssatz nach § 238 AO richte. Ob ab dem 01.01.2019 ein abgesenkter Zinssatz von 0,15% pro Monat anzusetzen sei, wurde hingegen offengelassen. Letzteres musste aufgrund des zu beurteilenden Sachverhalts und des bereits bestehenden Anspruchs auf Prozesszinsen nicht entschieden werden.

Handlungsbedarf / Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung

Die Anzahl der beim BZSt eingereichten Erstattungsanträge wächst. Einerseits ist die zunehmende Tendenz erkennbar, dass deutsche Unternehmen - gegebenenfalls auch vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung zu der Überlassung von Know-how - im Zweifelsfall die Vergütung an ihre ausländischen Vertragspartner als Lizenz qualifizieren und einen Steuerabzug vornehmen, selbst wenn vorrangig nur die Erbringung einer Dienstleistung vereinbart wurde. Andererseits führen auch regelmäßig Betriebsprüfungen mit Feststellungen einer verdeckten Gewinnausschüttung an ausländische Gesellschafter zu vermeidbaren Erstattungsverfahren, wenn keine Freistellungsbescheinigung vorgehalten wurde. Das BZSt steht damit einer steigenden Anzahl von Anträgen gegenüber, bei deren Bearbeitung zusätzlich die komplexe und grundlegend neu gestaltete Missbrauchsvermeidungsvorschrift des § 50d Abs. 3 EStG berücksichtigt werden muss. Diese Umstände spiegeln sich in den nachfolgenden Zahlen wider: In 2023 wurden 35.411 Eingänge von Kapitalertragsteuer-Erstattungsanträgen beim BZSt verzeichnet (2022: 19.448), zeitgleich erfolgten jedoch nur 13.818 Erledigungen (2022: 13.410).

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Anzahl an Anträgen und deren langen Bearbeitungszeiten beim BZSt ist es umso wichtiger, bereits proaktiv bei erstmaliger Antragstellung alle Unterlagen und Informationen entsprechend aufzubereiten und beizufügen, um den Anspruch auf Entlastung entsprechend belegen zu können und um verzögernde Rückfragen des BZSt zu vermeiden.

Zudem ist zu prüfen, ob gegebenenfalls aus unionsrechtlichen Erwägungen ein Zinsanspruch im Raum steht und entsprechend einzufordern ist.

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