BFH hält Aussetzungszinsen von monatlich 0,5 % für verfassungswidrig


Einspruch und Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Diese kann aber unter bestimmten Voraussetzungen – insbesondere bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids - vom Finanzamt oder Finanzgericht gesondert durch die Aussetzung der Vollziehung (AdV) angeordnet werden. Dem Zahlungsaufschub stehen allerdings Aussetzungszinsen gegenüber, wenn das Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und der Steuerpflichtige die Steuer „nachträglich“ zahlen muss. Das Gesetz sieht für die Dauer der AdV und auf die Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat, also 6 % pro Jahr, vor (§ 237 i.V.m. 238 Abs. 1 S. 1 AO).

Die allgemeine Vollverzinsung in dieser Höhe hatte das BVerfG zwar mit Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) ab dem 01.01.2014 für unvereinbar mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes erklärt und unter Anwendung einer Fortgeltungsklausel bis zum 31.12.2018 für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 eine gesetzliche Neuregelung angeordnet, dies aber nicht auf die Aussetzungszinsen und andere Teilverzinsungstatbestände erstreckt. Nunmehr hatte der BFH die Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.

Im Streitfall hatte das Finanzamt die AdV des angefochtenen Einkommensteuerbescheids im Jahr 2012 gewährt, allerdings war die Klage erfolglos. Dementsprechend setzte das Finanzamt für 78 Monate, darunter auch für den Zeitraum ab dem 01.01.2019, Aussetzungszinsen von 0,5 % pro Monat fest. Dagegen wandte sich der Steuerpflichtige.

Nach Auffassung des BFH ist zumindest während der auch noch in den Jahren 2019 und danach anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase der gesetzliche Zinssatz von 6 % pro Jahr der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen. Zudem werden Nachzahlungszinsen seit dem 01.01.2019 lediglich mit einem Zinssatz von 0,15 % für jeden Monat, also 1,8 % pro Jahr, berechnet. Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, weil ihre Steuerfestsetzung zu einem Unterschiedsbetrag geführt hat, und Steuerpflichtige, die Zinsen schulden, weil sie die Steuer nach AdV nicht bezahlt haben, werden insofern ungleich behandelt. Auch deshalb ist die derzeit im Gesetz vorgesehene Zinssatzspreizung verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

Daher hält der BFH den gesetzlichen Zinssatz in Höhe von 0,5 % pro Monat, also 6 % pro Jahr, für Aussetzungszinsen – zumindest für Zeiträume ab 2019 - nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, also für verfassungswidrig. Er hat daher mit Beschluss vom 08.05. 2024 (Az. VIII R 9/23) das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung hierüber angerufen.
 

Hinweis:
Bei vergleichbaren Sachverhalten – insbesondere hinsichtlich der relevanten Zeiträume - sollte unter Hinweis auf den o.g. Vorlagebeschluss des BFH an das BVerfG ein Antrag gem. § 363 AO auf Ruhen eines über die Zinsfestsetzung anhängigen Rechtsmittelverfahrens gestellt werden.