Solidaritätszuschlag auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand
Solidaritätszuschlag auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat heute sein mit Spannung erwartetes Urteil (Az. 2 BvR 1505/20) zur Frage der Verfassungskonformität des Solidaritätszuschlags (SolZ) ab dem Veranlagungszeitraum (VZ) 2020/2021 verkündet. Danach ist die Erhebung des SolZ weiterhin verfassungsgemäß.
Der sog. SolZ 1995 wurde durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23.06.1993 (BGBl. I 1993, 944) mit Wirkung ab dem VZ 1995 eingeführt. Seitdem wird der SolZ 1995 ununterbrochen als zeitlich unbefristete Ergänzungsabgabe mit einem Zuschlagsatz von 5,5 % zur festzusetzenden bzw. vorauszuzahlenden Einkommen- und Körperschaftsteuer erhoben und auch bereits im Rahmen des Steuerabzugs (Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer, Steuerabzug beschränkt Steuerpflichtiger nach § 50a EStG) berücksichtigt.
Mit der Erhebung des SolZ 1995 soll(t)en finanzielle Sonderlasten des Bundes nach der deutschen Wiedervereinigung basierend auf den beiden Solidarpakten I (01.01.1995 bis 31.12.2004) und II (01.01.2005 bis 31.12.2019) gedeckt werden. Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II wurde als erster Schritt auf dem Weg zu einem späteren vollständigen Abbau des SolZ dessen Rückführung für niedrige und mittlere Einkommen durch das Gesetz vom 10.12.2019 (BGBl. I 2019, 2115) beschlossen. Dazu wurden mit Wirkung ab dem VZ 2021 die bislang bestehenden Freigrenzen schrittweise angehoben und eine sog. Milderungszone eingeführt. Steuerpflichtige mit höheren Einkommen, Kapitalertragsteuerpflichtige und alle Körperschaftsteuersubjekte, wie Kapitalgesellschaften, zahlen den SolZ allerdings unverändert weiter.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte mit Urteil vom 17.01.2023 (Az. IX R 15/20) den SolZ in den VZ 2020 und 2021 für „noch nicht verfassungswidrig“ erklärt. Nach seiner Ansicht habe der SolZ seine Rechtfertigung als Ergänzungsabgabe mit dem Auslaufen des Solidarpakts II zum Jahresende 2019 nicht verloren. Ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, der aus der Bewältigung einer sog. Generationenaufgabe resultiert, könne auch für einen sehr langen, 26 bzw. 27 Jahre übersteigenden Zeitraum anzuerkennen sein. Zudem sah der BFH keinen Grundrechtsverstoß gegen die partielle Weitererhebung des SolZ ab dem VZ 2021.
Dem BVerfG-Urteil vom 26.03.2025 (Az. 2 BvR 1505/20) liegt die unmittelbar erhobene Verfassungsbeschwerde gegen die Fortführung des SolZ über das Jahr 2019 hinaus durch mehrere frühere FDP-Bundestagsabgeordnete zugrunde. Nach deren Ansicht war die Weitererhebung des ursprünglich mit den Kosten der Wiedervereinigung begründeten SolZ mit Auslaufen des Solidarpakts II am 31.12.2019 verfassungswidrig geworden. Ferner bewirke das Gesetz zur Rückführung des SolZ 1995 eine Ungleichbehandlung verschiedener Einkommensschichten.
Das BVerfG wies die zulässige Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurück. Es schließt sich insofern der Ansicht des BFH an, dass ein evidenter Wegfall des wiedervereinigungsbedingten finanziellen Mehrbedarfs des Bundes, der die Erhebung einer Ergänzungsabgabe in Form des SolZ rechtfertigt, auch heute (noch) nicht festgestellt werden könne. Zeitlich definierte Fristen wie etwa diejenige eines „Generationenabstands“ seien dabei ebenso unerheblich wie das Auslaufen des Solidarpakts II mit Ablauf des Jahres 2019. Dadurch sei lediglich die bis dahin erfolgte konkrete Ausgestaltung der Unterstützung der sog. neuen Länder durch den Bund zu ihrem Ende gekommen. Dies bedeute aber nicht, dass der Bund nicht auch nach diesem Zeitpunkt wiedervereinigungsbedingte Bedarfe der sog. neuen Länder im gesamtstaatlichen Interesse finanziell auszugleichen habe. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Aufhebung des SolZ ab dem VZ 2020 bestehe folglich nicht.
Nach Ansicht des BVerfG verstoße der SolZ 2020/2021 mit seinem Zuschlagsatz in Höhe von 5,5 % weder gegen den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch stehe er in einem unangemessenen Verhältnis zu der Höhe des aufgabenbezogenen Mehrbedarfs, der mit dessen Erhebung gedeckt werden soll. Zwar betrug das Aufkommen aus dem SolZ im Jahr 2020 mit EUR 18,7 Mrd. deutlich mehr als die Summe der vereinigungsbedingten Belastungen des Bundeshaushalts mit nur rund EUR 13 Mrd. Hierauf reagierte der Bundesgesetzgeber entsprechend seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungsobliegenheit mit dem Gesetz zur Rückführung des SolZ 1995, indem er den SolZ nicht mehr von allen einkommensteuerpflichtigen Personen erhob und damit das Aufkommen für die Jahre ab 2021 deutlich verringerte. So betrug das Aufkommen aus dem SolZ im Jahr 2021 nur noch EUR 11 Mrd. Das BVerfG sieht durch das SolZG 1995 ferner den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht als verletzt an.
Hinweis:
Das Urteil des BVerfG vom 26.03.2025 klärt eindeutig, dass der über das Jahr 2019 hinaus erhobene SolZ verfassungskonform war und ist. Die Weitererhebung des SolZ könnte sogar noch bis zum Ablauf dieses Jahrzehnts erfolgen. Denn nach einem im Verfahren vorgelegten Gutachten gebe es noch bis zum Jahr 2030 in bestimmten Bereichen wiedervereinigungsbedingte Belastungen des Bundeshaushalts zu kompensieren. Ob und inwieweit dies im finalen Koalitionsvertrag einer möglichen Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD berücksichtigt wird, bleibt abzuwarten.
Es ist davon auszugehen, dass den SolZ betreffende vorläufige Steuerfestsetzungen nun durch Allgemeinverfügung seitens der Finanzverwaltung für endgültig erklärt werden.